Interview

  • Georgios Papadopolous: Ich arbeite lösungsorientiert und systemisch.
  • Michaela Meyer: Systemisch?
    Michael Mayer: Wieder so ein Modewort.
  • Georgios: Jeder Mensch gehört mannigfaltigen sozialen Systemen an. Menschen, die miteinander interagieren, bilden ein System. Daher systemisch.
  • Michaela: Wie unsere Wandergruppe.
    Michael: Oder die Seilschaft.
  • Georgios: Genau. Jedes soziale System hat bestimmte Regeln und Muster. Manche wurden festgelegt, andere sind gewachsen oder haben sich einfach unmerklich eingespielt. In der Familie reden wir anders miteinander als mit den Kollegen und wieder anders als in der Wandergruppe. Nach den jeweiligen Regeln kommunizieren die Angehörigen eines Systems (Autopoiese).
  • Michaela: Stimmt. In der Wandergruppe wird viel geredet und gelacht. Anders als in der Seilschaft.
    Michael: In der Seilschaft reden wir nur das nötigste, während wir im Seil hängen. Aber auf der Hütte, da wird es dann umso lustiger.
  • Georgios: Das bringt das System mit sich. Ich schaue mir bei meiner Arbeit also an, in welchem System Sie stecken und wie dieses funktioniert.
  • Michael: Heißt das, dass ich mich gar nicht persönlich ändern muss, wenn es Probleme in der Seilschaft gibt?
  • Georgios: Sobald sich ein Element ändert, verändert sich das ganze System.
  • Michaela: Wollen Sie damit sagen, wenn ich mich mit meinen Wanderfreundinnen anders verhalte als bisher, hat das Auswirkungen auf die ganze Gruppe?
  • Georgios: Ja, genau. Ich betrachte Sie zwar als Individuum, aber immer vor dem Hintergrund des Systems, in dem es Schwierigkeiten gibt. Das nennt man dann systemisch.
  • Michael: Wir wollen eigentlich gar nicht, dass sich was verändert. Uns wäre es lieber, wenn alles bleibt, wie es ist. Stabilität ist uns wichtig. Es nervt, wenn jemand die Gruppe aufmischt.
  • Georgios: Sie haben mir doch von der Hängebrücke erzählt.
  • Michaela: Ach, das Wackelding. Obwohl es so geschwankt hat, war es vollkommen stabil. Irre!
  • Georgios: Stabilität hat mit Beweglichkeit zu tun, nicht mit Starrheit. In der Gruppe genauso wie bei der Brücke. Ein System versucht immer wieder, ins Gleichgewicht zu kommen (Homöostase). Wie die Brücke. Sie schwingt so lange, bis sie wieder weitestgehend zur Ruhe kommt. Doch setzt die nächste Gruppe ihre Füße darauf, beginnt sie erneut zu schwingen.
  • Michael: Was bedeutet das jetzt für uns?
  • Georgios: Sobald etwas das Gleichgewicht der Gruppe stört, zum Beispiel weil sie jemand in der Gruppe anders verhält als es die Regeln vorsehen, gerät das Gefüge aus dem Gleichgewicht. Es gibt Streit, Missverständnisse, vielleicht sogar Austritte. Die Gruppe wird sich so lange verändern, bis sich neue Regeln etabliert haben und sie wieder in ein neues Gleichgewicht kommt.
  • Michaela: Aber kann es nicht einfach wieder so werden wie vorher?
  • Georgios: Selbst, wenn Sie sich darauf einigten, eine Störung zu ignorieren, wäre das System danach nicht mehr dasselbe wie vor der Störung.
  • Michaela: Ach, so. Weil sich das System geändert hat, hat sich das ganze Gefüge geändert.
    Michael: Und was ist daran lösungsorientiert?
  • Georgios: Ich schaue mir mit Ihnen gemeinsam an, welche Lösungen es gibt, das Gleichgewicht in der Gruppe wieder herbeizuführen, statt lange und tief in der Vergangenheit nach den Ursachen für eine Störung zu suchen.
  • Michaela: Aber manchmal sind Lösungen einfach nicht umsetzbar. Ich würde zum Beispiel gerne auf den Mount Everest steigen, aber ich bin einfach nicht fit genug dafür.
  • Georgios: Und darum ist es hilfreich, nach der zweit- oder drittbesten Lösung zu suchen, eine die man auch umsetzen kann. Dadurch wird diese zur besten Lösung. Sie können mit einem kleineren Berg anfangen.
  • Michael: Und was gewinnen wir dadurch?
  • Georgios: Darf ich die Frage umdrehen: Was würden Sie verlieren, wenn sich das System veränderte?
  • Michaela Mayer: Vermutlich nur etwas, was wir ohnehin nicht mehr brauchen.
  • Georgios: Also verlieren Sie im Grunde nichts. Sondern gewinnen.